Riesengleiter bilden eine eigene, den Affen und Halbaffen nächstverwandte Gruppe

(15.08.2016) Der Riesengleiter – auch bekannt als Pelzflatterer oder Colugo – führt ein verstecktes Dasein im Kronendach des südostasiatischen Regenwaldes.

Einst hielten Forscher das Tier für einen neuen Vertreter der Primaten, doch nun steht fest: Der Pelzflatterer bildet eine eigene, den Affen und Halbaffen nächstverwandte Gruppe.

Ein Team von Wissenschaftlern mit Beteiligung der Universität Münster lieferte dafür jetzt den ersten eindeutigen Beweis.

Riesengleiter; Bildquelle: Zeichnung von Jón Baldur Hlíðberg; www.fauna.is
Riesengleiter
Die Erkenntnisse, publiziert in „Science Advances“, haben Auswirkungen auf alle Fragen der Primatenentstehung und damit auch unserer eigenen – der menschlichen – Herkunft.

Zugegeben: Auf den ersten Blick und rein äußerlich weist der katzengroße Riesengleiter keinerlei menschliche Züge auf. Auf der Suche nach Nahrung schwebt das nachaktive Tier mithilfe einer Gleitmembran, die sich über seinen gesamten Körper erstreckt, über 100 Meter weit von Baum zu Baum.

Um dem bisher wenig bekannten und im Bestand gefährdeten Exoten neue Geheimnisse zu entlocken, analysierten Forscher der Medizinischen Fakultät der Universität Münster gemeinsam mit Kollegen aus den USA das Erbgut des malaysischen Colugo.

Die nun veröffentlichte Genomanalyse füllt die 80 Millionen Jahre zurückliegende Lücke in der Abstammungslinie zum Menschen: Die Primaten haben einen gemeinsamen Vorfahren mit dem Riesengleiter. Damit sind Colugos und Primaten gewissermaßen „Geschwister“.

Dank dieses Untersuchungsergebnisses lassen sich nun die genetischen Informationen, die letztlich zur Entstehung der Primaten und uns Menschen geführt haben, direkt im Genomvergleich ablesen. So beantwortet die Analyse eine der bedeutendsten evolutiven Fragen unserer fernen Herkunft.

Die Untersuchung des Colugo-Genoms stellt die funktionelle Genevolution eindrucksvoll dar: In der Entwicklung unserer Vorfahren geht der ausgeprägte Geruchssinn zurück; dafür verschärfen sich Sehfähigkeit und Hirnfunktionen. Das „up-and-down“ vom sonnigen Boden in nächtliche Baumkronen und zurück war wohl ein entscheidender Schritt in unserer Evolution, den wir gemeinsam mit dem Urahn des Riesengleiters gegangen sind.

Seien es Gene, die im Menschen zu Krankheiten führen oder unsere kognitiven Eigenschaften ausmachen: Mit der nun geklärten Abstammung der Primaten von einem gemeinsamen Vorfahren mit dem Riesengleiter und dem verfügbaren neuen Genom ist der Weg zum Verständnis der Veränderungen in unseren Primatenvorfahren offen.

Zoologe William Murphy vom Texas A&M University College, Wesley Warren vom McDonell Genome Institute at the Washington University und das Team um Dr. Jürgen Schmitz vom Institut für Experimentelle Pathologie der Uni Münster führten die Genomanalyse gemeinsam durch.

Ein weiteres genomisches Highlight lieferten William Murphy und sein Team mit dem Vergleich von 66 Museumsindividuen in einer einzigartigen „Museomic“ – einer biogeographischen Populationsstudie des Riesengleiters. Hier stand die Abstammung javanischer Colugos im Vordergrund.

Der Vergleich mitochondrialer Genome zeigte eindeutig eine nahe Verwandtschaft der javanischen Individuen zu Museumsproben aus Ost-Borneo. Dies spricht für eine Besiedlung Javas vor ungefähr 9,3 Millionen Jahren von dieser Insel des Malaiischen Archipels aus.

Untersuchte Kerngenomdaten wiederum brachten eine Überraschung und ließen auf die wesentlich spätere Besiedlung Javas aus unterschiedlichen Gebieten wie Peninsula Malaysia, Sumatra und West Borneo vor ungefähr vier Millionen Jahren schließen.

Die rein mütterliche (maternale) Vererbung mitochondrialer Genome löst diesen vermeintlichen Widerspruch allerdings auf: Im Falle der javanischen Riesengleiter führt eben diese Matrilinie zurück nach Ost-Borneo. Die zweite Besonderheit ist der starke väterliche Einfluss auf das Kerngenom durch den, typisch für Säugetiere, hohen Migrationsdrang der männlichen Individuen.

So ist vor circa vier Millionen Jahren eine Vielzahl an männlichen Colugos – begünstigt durch einen gesunkenen Meeresspiegel und üppigen Baumbestand dieser Zeit – nach Java eingesegelt. Dabei haben diese Männchen ihr Kerngenom selektiv dominant in die dort vorhandene Population eingebracht. Die ursprünglich maternale Mitochondrienpopulation ist davon aber unberührt geblieben. So erklären sich die Wissenschaftler den beobachteten Kontrast zwischen Kern- und Mitochondriengenom.

Weiterhin vermuten sie nun auf Grundlage der neuen Informationen über das Erbgut des Colugos, dass es nicht nur die bisher bekannten zwei Arten der Pelzflatterer gibt. Künftige detaillierte genetische Analysen werden vermutlich auf eine Vielzahl an Arten und Linien stoßen, somit sollten alle Konzepte zum Schutze dieses außergewöhnlichen Säugers neu überdacht werden, empfehlen die Forscher.




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