Berggorilla-Weibchen wissen, wie sie Inzucht vermeiden

(21.05.2015) Genetische Studien belegen, dass dominante Männchen keine Nachkommen mit ihren eigenen Töchtern zeugen

Einige weibliche Berggorillas verlassen ihre Geburtsgruppe nicht. Sie bleiben in der Gesellschaft ihrer Väter, bei denen es sich häufig um das dominante Männchen der Gruppe handelt. Um dem Geschlechtsverkehr mit ihren Vätern aus dem Weg zu gehen und Inzucht möglichst zu vermeiden, wenden die Weibchen taktische Maßnahmen an.

Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zufolge funktioniert die Strategie der Weibchen so gut, dass die Gefahr, dass ein Alphamännchen Nachwuchs mit der eigenen Tochter zeugt, gleich null ist.


Der dominante Silberrücken Cantsbee ruht sich mit erwachsenen Weibchen und Nachwuchs aus. Cantsbee ist seit 1995 das dominante Männchen der Gruppe und hat genetischen Studien zufolge mehr als 20 Nachkommen gezeugt.

Während der "Amtszeit" des Alphamännchens einer Gruppe erreichen viele seiner Töchter die Geschlechtsreife und könnten sich theoretisch mit ihm fortpflanzen. Daher verlassen drei von fünf weiblichen Gorillas üblicherweise ihre Geburtsgruppe, um in einer anderen Gruppe einen Geschlechtspartner zu finden.

Ähnlich verhält es sich bei den Gorillas im Karisoke Forschungszentrum in Ruanda, die Genetikerin Linda Vigilant und ihr Team erforschen: Etwa die Hälfte der jungen Weibchen wandert ab. Die restlichen Weibchen paaren sich mit Männchen niedrigeren Ranges.

Um bei 97 Berggorillas die Vaterschaft eindeutig zu bestimmen, führten die Forscher genetische Analysen von Kotproben durch, die Vigilants Team seit 1999 sammelt. Unter diesen Berggorillas befanden sich 79 Nachkommen von vier Berggorilla-Gruppen, die von Forschern des Dian Fossey Gorilla Fund International schon seit Jahrzehnten beobachtet werden.

Das Ergebnis der Studie: Sieben von zehn Nachkommen (72 Prozent) einer Gruppe, in der sich mehr als ein Männchen befindet, wurden vom dominanten Männchen gezeugt. Das Alphamännchen war jedoch in keinem Fall der Vater eines Nachkommens der eigenen Tochter.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein dominantes Männchen Nachwuchs mit der eigenen Tochter zeugt, ist gleich null, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Männchen der Vater anderer Nachkommen derselben Gruppe ist, im Durchschnitt bei zwei zu eins liegt“, erklärt Vigilant.

Angehörige von Gruppen mit mehreren Männchen können Inzucht jedoch nicht komplett vermeiden. Analysen zeigen, dass die Eltern von neun der 79 Nachkommen wenigstens Halbgeschwister gewesen sind. Das bestätigt aktuelle Forschungsergebnisse, die besagen, dass es bei den Berggorillas wenig genetische Variation und Anzeichen für Inzucht gibt.

Obwohl weibliche Gorillas viel kleiner sind als männliche, spielen sie eine aktive Rolle bei der Partnerwahl, und die Initiative zum Geschlechtsverkehr geht oft von ihnen aus. Die Erkenntnis, dass mehr als ein niederrangiges Männchen einer Gruppe als potentieller Vater in Frage kommen kann, lässt darauf schließen, dass Weibchen verschiedene Vorlieben bei der Partnerwahl haben.

Doch woher wissen Vater und Tochter eigentlich von ihrer Blutverwandtschaft, um einander dann in Liebesdingen die kalte Schulter zeigen zu können? Vigilants Team hat herausgefunden, dass sich die Töchter dominanter Männchen mit niederrangigen Männchen fortpflanzen, die wesentlich jünger sind als ihre Väter.

Die Weibchen scheinen also nach dem Motto zu verfahren: Paare dich lieber mit jungen Männchen, denn die können nicht dein Vater sein.

Vigilant ist der Meinung, dass auch der relativ lange Zeitraum, den noch nicht geschlechtsreife Weibchen in der Gesellschaft des dominanten Männchens verbringen, ihnen letztlich dabei hilft, ihren biologischen Vater als solchen zu erkennen. Außerdem bevorzugen dominante Männchen als Partner ältere Weibchen, die erfahrene Mütter sind.

Originalpublikation

Linda Vigilant, Justin Roy, Brenda J. Bradley, Colin J. Stoneking, Martha M. Robbins, Tara S. Stoinski
Reproductive competition and inbreeding avoidance in a primate species with habitual female dispersal
Behavioral Ecology and Sociobiology; 20 May, 2015 (DOI: 10.1007/s00265-015-1930-0)



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