Bewertung der Risiken von Pflanzenschutzmitteln auf Bienen und andere Bestäuber

(29.09.2014) Die diesjährige 59. Deutsche Pflanzenschutztagung, die vom 23. bis 26. 9. 2014 an der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg stattfand, widmete dem Aspekt der Auswirkung von Pflanzenschutzmitteln auf Bienen und andere Bestäuber mit mehr als 25 Vorträgen und Postern ein Hauptaugenmerk. Aktuelle Forschungsergebnisse und Tendenzen wurden aufgezeigt.

Im Jahr 2008 starben in der Rheinebene viele Bienen. Die Ursache war mit dem neonicotinoiden Wirkstoff Clothianidin gebeiztes Maissaatgut. Sofort wurden die entsprechenden Mittel vom Markt genommen. Seither ist die Anwendung dieser Wirkstoffe stark eingeschränkt.

Julius Kühn-Institut Wissenschaft und Industrie unternahmen enorme Anstrengungen, um die Qualität von Saatgut und Sämaschinen grundsätzlich zu verbessern und die potentiellen Risiken für Bienen bei mit Insektiziden gebeizten Kulturpflanzen genauer zu untersuchen.

Geforscht wird derzeit beispielsweise, welche Menge an Wirkstoff die Bienen in welchem Zeitraum über Nektar, Pollen, Staub oder Wasserquellen ausgesetzt sind, und welche Unterschiede es in den einzelnen Kulturen wie Raps, Mais oder Weizen gibt.

Intensiv durchleuchten die Experten grundlegende Fragen der Expositionspfade und konkrete Fragen zu kurzfristigen und langfristigen Effekten nach einer Anwendung. Dabei werden neben den Honigbienen verstärkt auch die potentiellen Auswirkungen auf andere Bestäuber erforscht.

Verstärkt untersuchten z. B. Wissenschaftler/innen des Julius Kühn-Instituts im Rapsanbau, welche akuten und langfristigen Gefährdungen für Bienen, Hummeln und Solitärbienen durch die Saatgutbeizung bestehen.

Wie hoch ist der Staubabrieb bei der Aussaat verschiedener Kulturpflanzen, welche Rückstände in Pollen, Nektar oder in Guttationstropfen der Pflanze oder welche Effekte sind bei „worst-case“ Szenarien zu erwarten? Während der Pflanzenschutztagung fand zu diesen und weiteren Fragestellungen eine intensive Diskussion statt.

Aktuelle Resultate wurden präsentiert. So untersuchte das Institut für Bienenkunde der Universität Hohenheim den Einfluss einer chronischen Fütterung des Wirkstoffs Clothianidin an frei fliegenden Bienenvölkern.

Dabei infizierten sie einen Teil der Bienen zuvor mit Darmparasiten. Über drei Wochen wurden täglich die Mortalität und Flugaktivität kontrolliert. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass man die bereits bekannten Effekte von Neonikotinoiden auf Einzelbienen nicht direkt auf das Bienenvolk als Gesamtorganismus übertragen kann.

Offensichtlich können innerhalb des Organismus „Bienenvolk“ negative Auswirkungen von Insektiziden teilweise abgepuffert werden. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind noch zu klären.

Eine Arbeitsgruppe aus dem Julius Kühn-Institut untersuchte im Freiland zusammen mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und dem Gutachterbüro Tierökologische Studien Berlin, wie hoch Pollen und den Blüten von Raps mit den Wirkstoffen Clothianidin und Thiacloprid belastet sind. Parallel dazu wurde ermittelt, ob Rückstände der Wirkstoffe im Darm von Hummeln und Sandbienen zu finden waren. Es zeigte sich eine höhere Belastung der Hummeln, der u. a. auch dadurch bedingt ist, dass ihr Aktionsradius weitaus größer als der von Sandbienen ist.

Mit der EU-Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, die die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln regelt, wurde das Schutzziel „Biodiversität“ neu eingeführt. Entsprechende Konzepte zur Bewertung des Risikos von Pflanzenschutzmitteln und ggf. notwendige Maßnahmen zur Risikominimierung werden derzeit diskutiert. In sehr monotonen Agrarlandschaften gilt es, Maßnahmen zu etablieren, die die Biodiversität auf den Ackerflächen erhöhen können.

So untersuchen seit dem Jahr 2010 das Institut für Agrarökologie und Biodiversität (IFAB), das Institut für Landschaftsökologie und Naturschutz (ILN) zusammen mit Bayer CropScience in einer 5-jährigen Studie, wie sich ökologische Aufwertungsmaßnahmen auf Bestäuber auswirken.

Bienen, Hummeln und Solitärbienen sind wichtige Bestäuber von vielen Kultur- und Wildpflanzen. Ihr Schutz hat Priorität. Häufig werden in Medienberichten Todesfälle von Bienen pauschal mit der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, oft als Pestizide bezeichnet, verknüpft und brennen sich so in die öffentlichen Meinung ein.

Dass Schäden an Bienenvölkern sehr verschiedene Ursachen haben können, zeigen jedoch die jahrzehntelangen regelmäßigen Untersuchungen der Untersuchungsstelle für Bienenvergiftungen am Julius Kühn-Institut (JKI) oder das etablierte Deutsche Bienen-Monitoring. Neben der nicht sachgemäßen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln spielen auch Krankheiten, Parasiten wie beispielsweise die Varroamilbe oder Frevel eine wichtige Rolle.

Die Zahl der bei der Untersuchungsstelle für Bienenvergiftungen am JKI jedes Jahr eingehenden Schadensmeldungen ist im Durchschnitt seit 1990 eher leicht rückläufig. Eine Ausnahme bilden die Jahre 2003 und 2008, in denen es – wie einleitendend beschrieben - zu starken Schäden durch besondere Umstände bei den Anwendungen gab.

Alljährlich werden etwa 100 - 150 Schadfälle von Imkern und etwa 1.500 geschädigte Völkern mit Verdacht auf Vergiftung durch Pflanzenschutzmittel gemeldet. Das JKI untersucht die eingehenden Proben kostenlos.

Der Anteil der Schäden, bei denen eine Vergiftung durch Pflanzenschutzmittel tatsächlich festgestellt oder nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, beträgt im langjährigen Mittel etwa 30 – 50 %. Dabei werden die Mittel meist falsch angewendet oder Anwendungsbestimmungen nicht beachtet.

In Deutschland werden insgesamt etwa 800.000 Bienenvölker von 80.000 Imkern gehalten. Nach einem langjährigen Rückgang der Bienenhaltung in Deutschland zeichnet sich ein positiver Trend ab, denn die Zahl der Bienenvölker und Imker scheint wieder anzusteigen.

Kurzfassungen der Vorträge und Poster zum Thema im Tagungsband zur 59. Deutschen Pflanzenschutztagung (Julius-Kühn-Archiv, Band 447, 2014)



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